Gründe für die Arbeit im Büro – und für ein hybrides Arbeitsmodell




Zu diesem Thema, das sicherlich schon seit einem Jahr oder mehr viele Mitarbeiter, Führungskräfte, Berater etc. sehr stark beschäftigt habe ich mir einige Gedanken gemacht. Außerdem verlinke ich hier Artikel und Studien, die ich lesenswert finde und bringe die Sichtweisen und Argumente zusammen.

Ich stelle diese Informationen hier “einfach und ziemlich roh” zur Diskussion und freue mich auch über Ergänzungen, Sichtweisen und Feedback!

Situation: Viele führende Unternehmen u. a. aus dem IT-Umfeld haben ihre Mitarbeitenden seit Ende des Lock downs in 2022 mindestens 2-3 Tage in der Woche wieder ins Büro zurück geholt – mit unterschiedlichen Ansätzen und Methoden

Beispiele sind u. a.: Apple, Netflix, Google u. v. m.


Als Gründe für die gemeinsame Arbeit im Büro nennen die Unternehmen:

Einen wahrgenommenen oder gemessenen Rückgang der Innovationskraft aufgrund von…

  • Geringerem informellem und schnellem Austausch mit direkten Kollegen und anderen Mitarbeitern
  • Weniger Ideenaustausch und Verbindung, weniger Information über die Arbeit anderer Mitarbeiter, anderer Projekte etc.
  • Die Intensität von physischer Gruppenarbeit ist emotional oft spürbar höher, auch hier schneller Austausch, mehr und qualitativ bessere Ideen, Flow
  • Die Sinneskanäle sind remote reduziert: nur Sprache und ggf. Videobild (zweidimensional, durch Technik und eine Glasscheibe abgebildet), kein “echter” menschlicher Austausch
  • Geringerem Zusammengehörigkeitsgefühl und Team-/Unternehmens-Spirit durch die Distanz

Lesenswerte Onlineartikel und Studien über einige der (möglichen) Vorteile der Arbeit im Büro und Abwägungen:

Das Home Office hat unbestritten einige erhebliche Vorteile/positive Seiten, u. a.

  • Wegfall unproduktiver, stressiger Fahrzeiten
    • … diese Zeit kann (teilweise) für die produktive Arbeit verwendet werden
    • … sorgt für weniger Stress/besseres Wohlbefinden
    • … kann für die Familie und eine flexiblere Verbindung von Beruf und Privatleben verwendet werden
    • … auch Männer können oft mehr in die Kinderbetreuung und Familie einbezogen werden 
  • Mitarbeiter sind oft weniger gestört und können konzentrierter arbeiten
  • Teilweise größere zeitliche Flexibilität, wann die Arbeit erledigt wird
     
  • Definitiv gibt es seit Jahren/Jahrzehnten viele Unternehmen (v. a. große Unternehmen), bei denen regelmäßige, intensive Arbeitsbeziehungen und Zusammenarbeit zwischen Mitarbeitern und Teams an unterschiedlichen Standorten bzw. sogar Ländern/Zeitzonen funktionieren (müssen)
    • … Corona stellt also kein völliges Novum dar bzgl. verteilter Teams und Zusammenarbeit
    • M. M. nach zeigt dies allerdings nur, dass dort, wo es auch früher schon nötig war eine solche verteilte Zusammenarbeit möglich ist. Es zeigt aber nicht, ob diese verteilte Arbeitsweise nicht in den meisten Fällen den genannten Faktoren bzgl. reduzierter Innovation und Identifikation unterliegt (also: “sachlich/räumlich notwendig, aber nicht optimal”)
    • Außerdem waren i. d. R. die Mitarbeiter jeweils in die physischen Teams vor Ort am Standort des (selben) Unternehmens eingebettet, und saßen nicht alle individuell zuhause. D. h. es gab eine Möglichkeit für eine Verbundenheit mit den Kollegen vor Ort und mit dem Unternehmen

Dem stehen aber auch einige erhebliche Nachteile von Home Office Arbeit über die o. g. hinaus gegenüber:

  • Weniger Austausch, Klärungen dauern oft auch länger oder bedeuten mehr Aufwand (schriftlich statt einfach kurz informell mündlich)
  • Ggf. negative Gemütszustände und sinkende Motivation durch Alleinsein, Distanz und Orientierungslosigkeit
  • Ggf. schlechte Arbeitsergonomie, verfügbarer Platz; Störung durch mangelnden Arbeitsraum, Lärm, schlechte technische Anbindung
  • “Koller” in den eigenen (engen) vier Wänden bzw. kleinem privatem Arbeitsplatz
  • Verschwimmen der privaten und beruflichen Verpflichtungen (gerade auch bei Frauen)
  • Störung der Konzentration bspw. durch Kinder, Handwerker, Baulärm u. ä.
  • Risiko des “Einreißens” von besonders späten Arbeitsstunden, Wochenendarbeit etc.
  • Teilweise können Mitarbeitende zuhause nicht so gut von der Arbeit abschalten, was sie belastet
  • Onboarding! Insbesondere neue Mitarbeiter (und auch Azubis) gehen remote oft “verloren” … es ist wesentlich schwieriger, sich einzuarbeiten, seinen Platz im Team zu finden, “dazu zu gehören” und sich mit den anderen KollegInnen und dem Unternehmen verbunden zu fühlen – und das fühlt sich wirklich unangenehm und unbefriedigend an! Auch die Fluktuation mit allen verbundenen Kosten und negativen Konsequenzen für alle KollegInnen ist deutlich höher (das kann ich aus eigenen Erfahrungen mit neuen Mitarbeitenden 2020/2021 absolut bestätigen!) – die Mitarbeiterbindung ist deutlich geringer
  • Netzwerken ist im Büro wesentlich einfacher
  • Teamgeist und Motivation gedeihen bei “echtem” Treffen erheblich stärker, als bei den ewigen Videokonferenzen…

Es können Möglichkeiten gesucht und ausprobiert werden, solche Nachteile durch gezielte Pflege, Förderung und Übung virtueller “Rituale” zu verringern, wie sie teilweise (erfolgreich) in Unternehmen praktiziert werden, wie bspw.

  • “virtuelle Kaffeerunde” (freiwillig, aber immer wieder eingeladen, befürwortet,…) oder virtueller “lunch and learn”
  • Virtuelle Gruppenspiele
  • Daily Meetings – kurze Calls zur “Synchronisierung”/Abstimmung
  • “Teams on” – eine Videokonferenz läuft “im Hintergrund” immer mit, so dass man sich hören und sehen kann (wie im Büro)
  • Virtuelle “Townhalls” im Bereich oder Unternehmen: die Führungskräfte/Management laden gezielt und sehr regelmäßig zu Videocalls ein, die thematisch unterschiedlich sein können – Möglichkeit, aktuelle Fragen zu besprechen, gezielt Werte und Kulturarbeit zu machen, Breakout-Gruppen zu Themen zu machen, über den Stand des Bereichs/Unternehmens zu berichten etc.
  • Nutzung von Tools wie Gathertown, HyHyve, Spatial, Wonder.me etc., die einen Raum nachbilden, in dem Kleingruppen-Unterhaltungen stattfinden können
  • Was kann das Unternehmen für Angebote schaffen, um das Wohlbefinden der Mitarbeiter remote zu stärken? Z. B. Online-Programme für (Selbst-) Coaching, Zeitmanagement, aber auch Bewegungsintegration, ggf. Fitness (gilt genau so für die Schreibtischarbeit im Büro)
  • Wie kann ein guter Arbeitsplatz im Home Office unterstützt werden? (Z. B. höhenverstellbarer Schreibtisch)
Meine persönliche Sichtweise, Erfahrung und Wahrnehmung (als ehemalige Führungskraft):
  • Ich teile die Erfahrung und Einschätzung der o. g. Unternehmen.
  • “New Normal”/”New Work”: Meiner Meinung nach ist da, wo es vom Arbeitsweg her möglich ist sinnvoll, dass Teams 2-3 T./Wo. in der Regel wieder im Büro arbeiten
  • 2-3 T./Wo. damit ein Gruppenerleben weiterhin möglich ist (“ausreichende Überlappung der Anwesenheit”) – das Büro und Unternehmen wird dadurch auch wieder ein normaler Bestandteil des Lebens und Alltags, was m. E. nach Nähe schafft
    • … das macht allerdings das Durchführen hybrider Abstimmungen zur ständigen Notwendigkeit: der Teil der Mitarbeiter, die für eine Abstimmung benötigt werden aber gerade nicht im Büro sind muss virtuell hinzugeschaltet werden. Das ist nicht optimal.
    • Die Notwendigkeit hierfür lässt sich über Arbeitsgestaltung und die Eigenabstimmung der Mitarbeiter untereinander teilweise reduzieren
  • Mein Eindruck anhand konkreter ehemaliger Mitarbeiter ist, dass es v. a. diejenigen Mitarbeiter sind, die sich auch vor Corona nicht stark mit dem Unternehmen identifiziert haben oder aus anderen Gründen eher zurückgezogen sind, die am stärksten gegen Gründe für eine (teilweise) Rückkehr ins Büro argumentieren. Das finde ich signifikant und bedenklich. 
  • Natürlich gibt es auch Mitarbeitende, die weiterhin Ängste bezüglich einer Ansteckung und neuer Corona-Wellen haben – wegen sich selbst oder wegen anfälliger Angehöriger. Das bezieht sich natürlich auch auf Maske tragen und die Ansteckungsgefahr bspw. in öffentlichen Verkehrsmitteln auf dem Arbeitsweg. Auch Maske tragen auf den Gängen im Büro oder ggf. bei Besprechungen ist unangenehm. Da ist es zu Hause komfortabler.
  • Allerdings ist eine mögliche soziale Phobie, ein Zurückziehen in die eigenen Wände ebenfalls psychologisch bedenklich.
     
  • Fakt ist: die absolute Mehrheit der Angestellten (mit Bürojobs bzw. in administrativen Bereichen) möchte gemäß verschiedenen Umfragen und Studien nicht mehr Vollzeit im Büro arbeiten!
  • Flexible, faire Regelungen zu einer Aufteilung bzgl. Home Office und Büro führen gemäß Erhebungen/Umfragen zu einer deutlich höheren Mitarbeiterbindung.
  • Unternehmen, die keine flexiblen Lösungen anbieten haben heute bereits einen wesentlichen Nachteil in der Gewinnung und dem Halten guter Mitarbeiter (s. Umfragen: Mehr als die Hälfte der Mitarbeitenden gibt an, bei völliger Unflexibilität nach einer neuen Stelle Ausschau zu halten – und findet mit hoher Wahrscheinlichkeit Unternehmen, die ihnen ein Maß von Flexibilität bieten.)
  • Einen etwas provokanten Gedanken möchte ich hier auch stellen: Wie oft ist der Grund dafür, dass die Leistung im Home Office nicht schlechter oder besser ist als im Büro, dass gar kein “echtes” Team vorhanden ist? Ein gutes, “echtes” Team ist dadurch beschrieben, dass es durch gegenseitige Unterstützung und Austausch eine deutlich höhere Leistung bringt, als die selben Menschen, die “einfach nur jeweils ihren Job machen”. … Viele Menschen und Unternehmen haben keine solchen “echten” Teams – sie bezeichnen einfach organisatorisch Gruppen von Mitarbeitern als Teams, aber es ist kein Leistungs-Mehrwert vorhanden. Dann macht es auch keinen negativen Unterschied, wenn man seinen eigenen Arbeitsteil zuhause macht.

Die Interessen sollten allseitig fair gewahrt bleiben:
(statt: die individuellen Interessen werden vor die des Teams und des Unternehmens gestellt. Das bedingt allerdings eine positive Einstellung zum Unternehmen, dem eigenen Job und den Kollegen.)

  • Was brauchst/wünschst du dir vom Unternehmen?
  • Was ist am besten für das Team
  • Was braucht das Unternehmen (von dir)?
  • … Schließlich kann das Unternehmen das Gehalt nur zahlen und ein dauerhaft guter, attraktiver Arbeitgeber für die Mitarbeiter und ihre berufliche Entwicklung bleiben, wenn das Unternehmen wirklich gut läuft, d. h. innovativ bleibt und den Platz im Wettbewerb mindestens hält.
     
  • Der Aufbau einer starken Unternehmens- und Teamkultur ist virtuell/verteilt erheblich schwieriger
  • Die Kultur hat aber mit den stärksten Einfluss auf die Performance eines Unternehmens (Innovation, Geschwindigkeit, Leistungsfähigkeit, Veränderungen etc.)
     
  • Für wen der Job also nicht nur die Frage nach der Optimierung von Geld mit möglichst wenig Aufwand ist, für den sind die Interessen des Teams und des Unternehmens auch wirklich relevant – denn von ihnen hängt auch die eigene interessante Tätigkeit und weitere berufliche Entwicklung ab
     
  • Wenn es Gründe von Mitarbeitern gegen die (teilweise) Rückkehr ins Büro gibt, sollten diese Hindernisse möglichst offen besprochen werden (das können alle o. g. sein, bspw. Lärm/Störungen im Büro, schlechtes Betriebsklima, Betreuung von Kindern oder pflegebedürftigen Angehörigen etc.) – in Abwägung mit den Interessen des Teams und Unternehmens
     
  • Anreize (nur als zusätzliche Möglichkeit – nicht als “Karotte”): Welche Anreize und Vorteile interessieren größere Teile der Mitarbeitenden wirklich, ins Büro zu kommen?
    … bspw. ein erheblicher Zuschuss zu einer ÖPNV-Dauerkarte, um zumindest die Kosten des Arbeitswegs zu reduzieren (und auch privat zu nutzen)?
     
  • Auch abgewogen werden sollte seitens der Unternehmen und entsprechenden Organe wie Aufsichtsräten, Betriebsräten etc., welche wirtschaftlichen Auswirkungen und Veränderungen aus einer veränderten Arbeitsverteilung gezogen werden sollten. Büroräume kosten erheblich Geld. Bei einer verringerten Anwesenheit vieler Mitarbeiter sollte dies unbedingt eingespart werden: Verkleinerung der Büroflächen wo möglich, Umstieg auf flexible, buchbare Arbeitsplätze statt fester Schreibtische etc.
     
  • Wie hat sich der Krankenstand seit verstärktem Home Office entwickelt? Wie hat sich die Fluktuation und Mitarbeiterzufriedenheit verändert?
     
  • Niemand verliert gerne etwas oder wird zu etwas gezwungen… diese Gefahr besteht bzgl. der Rückkehr ins Büro, wenn das Home Office von den Mitarbeitenden vor allem als Verbesserung gesehen wird
     
  • Wenn das Arbeitsumfeld im Unternehmen/Team toxisch und nicht positiv ist, kann man jeden Mitarbeitenden verstehen, der unter keinen Umständen wieder im Büro arbeiten möchte. Schlechte Kultur und schlechte Führung rächen sich.
Überlegungen/Fragen:
  • Sollten die Unternehmen und Führungskräfte die Präsenz-Zeiten der Mitarbeiter mehr als früher dazu nutzen, mit gezielten Formaten den Austausch und das Teambuilding zu steigern? Wenn ja, mit welchen Formaten und Zielsetzungen?
  • … Ich denke, wir kommen als Führungskräfte schon weit, wenn wir die Zeit nutzen, viel bei und mit unseren Mitarbeitern zu sein – physisch vor Ort, oder ansonsten auch remote. Das hat sich nicht geändert – auch früher war  schon immer der wichtigste Job jeder Führungskraft, bei den Mitarbeitern zu sein und sie zu unterstützen. (Aus dem japanischen bzw. LEAN: go to the genba – Geh an den Platz, an dem die Arbeit gemacht wird!) 
Persönliche Erfahrungen in Unternehmen:
  • Viele Menschen aus unterschiedlichen Unternehmen, mit denen ich mich in den letzten Monaten darüber unterhalten habe sehen es ähnlich wie oben dargestellt. Sie gehen gerne 1-2 T./Wo., teils auch 3 T./Wo. ins Büro; einige (eher eine Minderheit) auch lieber 4-5 T./Wo.
  • Ihre Gründe sind z. B.:
    • Sie vermissen ansonsten den (informellen) Austausch und Gespräche mit Kollegen. Remote-Arbeit wird als distanzierter und als “rein arbeitsbezogen” erlebt. Soziale Verbundenheit gerät in den Hintergrund
    • Sie möchten gerne “die Firma” erleben
    • Sie fühlen sich teilweise zuhause vereinsamt; der soziale Kontakt ist stark reduziert
    • Teamgefühl kommt remote nicht auf  
    • Sie genießen den Kontakt und das Unternehmen mehr, als sie es früher getan haben weil es “Pflicht” war
    • Das schließt auch schlicht den Kaffee und das Mittagessen mit den KollegInnen ein

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6 thoughts on “Gründe für die Arbeit im Büro – und für ein hybrides Arbeitsmodell”

  1. Mitarbeiter, die remote arbeiten können ihre KollegInnen nicht bei deren Arbeit beobachten (und davon lernen). Daher können sie sich selbst schlechter weiterentwickeln.

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